» Brief aus Libyen

„Wir brauchen dringend geschützte Räume für Frauen“

 

Souad Tahir ist Psychologin. Sie arbeitet im Beratungszentrum, das AMICA und ihre Partnerorganisation in Bengasi aufgebaut haben, und berichtet von ihrer Arbeit im
sogenannten Safe Space.

Stellen Sie sich vor: Sie sind eine Frau, in Ihrem Land herrscht Krieg und Chaos, Gewalt ist allgegenwärtig – auf der Straße und in der Familie. Was würden Sie tun? Sie würden nach dem sichersten Ort suchen, um Hilfe zu finden: einem Ort, an dem Sie sich geschützt und frei fühlen, einem Ort mit einer vertrauensvollen Umgebung.

‚Safe spaces‘ – auf Deutsch ‚geschützte Räume‘ – gibt es in meinem Land kaum, obwohl sie so dringend gebraucht werden. Viele Frauen in Libyen erleben Gewalt, sowohl im Kontext des Bürgerkriegs als auch häusliche Gewalt. Aber sie können sich nirgendwohin zurückziehen, es gibt kaum Anlaufstellen. In meiner Stadt Bengasi mit ca. 600.000 Einwohner*innen ist mir nur ein Safe Space für Frauen bekannt: Das Beratungszentrum von NATAJ und AMICA. Dort arbeite ich als Psychologin.

Eine Frau, die unser Beratungszentrum zum ersten Mal betritt, kommt meistens für einen Computer- oder Englisch-Kurs, zu Weiterbildungen als Schneiderin oder Konditorin, selten für eine psychosoziale Beratung. Es ist bei uns in Libyen nicht üblich, von eigenen Problemen vor einer Ärztin oder einer Psychologin zu sprechen. Geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt ist stark tabuisiert und wird häufig als private Angelegenheit wahrgenommen, die man nicht nach außen trägt.

 


Eine Teilnehmerin der Ausbildung als Schneiderin


Sozialarbeitrin Asma in einem Beratungsgespräch


Unsere Arbeit besteht also erstmal darin, da zu sein und die Möglichkeit eines Gesprächs anzubieten. Wenn eine Frau sich bei uns anmeldet, stellen wir ein paar Fragen und versuchen herauszuhören, ob sie Hilfe braucht: Ist sie verheiratet oder Witwe? Wurde sie im Krieg vertrieben? Was hat sie erlebt? Kann sie gut schlafen und essen?
Das Wichtigste ist dann, Vertrauen aufzubauen. Es dauert manchmal länger, bis die Frauen sich öffnen und absolut sicher sind: Nichts davon, was sie hier sagen, wird nach außen gelangen. Ein Safe Space ist in erster Linie ein Ort der Vertraulichkeit. Frauen können anonym bleiben und unterschreiben ggf. nur mit ihren Initialen. Niemand erfährt, wer zu meiner Beratungsstunde kommt.

Meine Klientinnen haben harte Erfahrungen hinter sich und besprechen sehr persönliche Fragen. Daher ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit, eine gute Atmosphäre zu schaffen, in der sie sich wohl fühlen: ein angenehmes Licht, ein bisschen Musik, sogar ein Bett, falls sie sich während des Gesprächs hinlegen wollen. Und ganz wichtig: eine geschlossene Tür, damit sie ihre Kopftücher abnehmen und unter vier Augen sprechen können.

Im Laufe des Gesprächs kommt manchmal heraus, dass eine Frau eine medizinische Behandlung braucht. Da ich mit dem Personal des Krankenhauses gut vernetzt bin, kann ich an vertrauenswürdige Ärzte und Ärztinnen überweisen. Es geht mittlerweile auch andersrum: Unser Zentrum ist nun so etabliert, dass Ärzte und Ärztinnen schutzbedürftige Frauen zu uns schicken.

Wer hätte gedacht, dass wir das schaffen können? Wir – ein kleines Team von motivierten Frauen – haben eine Insel des Friedens und der Solidarität innerhalb des Bürgerkriegs und des wirtschaftlichen Chaos geschaffen. Es gibt noch so viel zu tun – aber wir sind stolz und dankbar, dass wir gemeinsam mit AMICA dieses Beratungszentrum aufbauen konnten. Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen Unterstützer*innen aus Deutschland, die an uns geglaubt haben, und die Arbeit möglich machen.

Ihre Souad ”

 

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