10 Jahre Arabischer Frühling
Vor genau zehn Jahren begannen in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrika Demonstrationen, Aufstände und Revolutionen, die die Länder grundlegend verändert haben. Daran hatten insbesondere Frauen einen großen Anteil: Laut und mutig fordern sie bis heute Menschenrechte, Gerechtigkeit und politischen Wandel.
An der Revolution in Libyen 2011 gegen das Machtregime des jahrzehntelangen Diktators Muammar al-Gaddafi waren Frauen aktiv beteiligt. Von Anfang an nahmen sie an den Protesten teil und spielten eine entscheidende Rolle bei der Versorgung von verwundeten Revolutionären. Frauen gingen auf die Straßen, um sich für ein gerechteres System, für die Achtung der Menschenrechte und die Möglichkeit zu politischer Teilhabe einzusetzen.
Nach dem Sturz Gaddafis kam es zu einer kurzen friedlichen Phase, die Hoffnungen weckte. Demokratische Wahlen standen in Aussicht, die Zivilgesellschaft organisierte sich erstmals, viele NGOs und Frauenrechtsorganisationen bildeten sich und auch Frauen konnten in das neue Parlament gewählt werden.
Frauen demonstrieren in Bengasi, 2013. Auf den Plakaten: „Deine Stimme für sie ist Unterstützung für dich selber“ (rechts), „Ja zur Unterstützung der Frau“ (links).
„Es war wie eine Explosion: Frauen entdeckten diese Energie in sich, sie begannen, ihre Rechte einzufordern, sie wollten Teil des politischen Systems sein. […] Die Frauen in Libyen sind nicht mehr dieselben wie vorher.“ |
Mit dem Scheitern der Regierungsbildung und dem darauffolgenden Ausbruch des Bürgerkrieges 2014 wurde die Hoffnung auf ein demokratisches Libyen jedoch schnell zerstört. Die Bewegungsfreiheit von Frauen wurde auf Grund des Bürgerkrieges stark eingeschränkt. Der Anstieg der Alltagsgewalt hatte auch einen Anstieg der geschlechtsbezogenen Gewalt zur Folge. “Zu Beginn habe ich mir bereits gedacht, dass es nicht einfach werden würde, aber ich habe nicht erwartet, dass es so groß werden und so lang dauern würde.“, sagt Iman Bugaighis.
Angriff auf die Frauenrechtsbewegung
2014 kam es zu der gezielten Tötung von Aktivistinnen in Libyen, darunter Salwa Bugaighis, eine libysche Rechtsanwältin und das Gesicht des weiblichen Widerstandes während der Revolution (und Schwester von Iman Bugaighis). Salwa Bugaighis hatte auf Grund von Drohungen das Land verlassen und war für die Wahlen 2014 zurückgekommen. Sie wurde in ihrem eigenen Haus getötet. Wenige Wochen nach Bugaighis Tod erschossen Bewaffnete Fariha al-Barkawi, eine weitere Frauenrechtlerin.
Einige zivilgesellschaftliche und humanitäre Organisationen wurden zur Schließung gezwungen, viele Frauenrechtsverteidigerinnen und Aktivistinnen mussten aus dem Land fliehen und sich in anderen Ländern niederlassen. Sie versuchen aus dem Exil heraus weiterhin aktiv zu sein und geben nicht auf. Die alten Machtstrukturen und Seilschaften sind in Libyen jedoch auch 10 Jahre nach der Revolution erhalten geblieben: Frauen haben nur wenige politische Teilhabemöglichkeiten und können die Zukunft Libyens nicht so mitgestalten wie erhofft. Viele NGOs, auch die Partnerorganisationen von AMICA, müssen auf ihre Sicherheit achten, denn bis heute werden Aktivistinnen persönlich bedroht, sogar entführt und ermordet.
„ | Die Situation wurde also schlimmer, leider, aber es gibt viele gute Beispiele in Libyen. Ich bin stolz auf das libysche Volk. Libysche Frauen gehen arbeiten, oft abseits der Politik. Viele von ihnen sind sehr clever, sie bauen eine wirtschaftliche Basis auf, helfen Frauen, machen Workshops und versuchen sich in Libyen zu vernetzen. Das nenne ich Aufbau. Natürlich nicht in großen Zahlen, aber es gibt sie. Und das in einer sehr schwierigen Zeit.“
Iman Bugaighis |
10 Jahre nach der Revolution: Frauen geben nicht auf
Die Hoffnung geben die Frauen jedoch trotz aller Widrigkeiten nicht auf. Viele kämpfen weiterhin für eine bessere Zukunft in Libyen und für mehr Gleichberechtigung. Denn die Revolution hat auch Positives hinterlassen: Hoffnung und Selbstbewusstsein.
Noch mehr Frauen in Libyen würden sich engagieren aber sie brauchen Schutz vor Gewalt, Perspektiven und Stabilität. Genau das bieten unsere Beratungszentren in Libyen an. Bei unseren lokalen Projektpartnerinnen finden gewaltbetroffene Frauen sichere Orte, wo sie rechtliche Beratung erhalten, sich weiterbilden und ihre Traumata überwinden können. (» mehr zu unserem Projekt: AMICA in Libyen)
Autorin: Sabeth Vater, Studentin der Politikwissenschaften und Ethnologie
Seit 2012 arbeiten wir in Libyen mit damals neu gegründeten Frauenorganisationen zusammen und unterstützt den Aufbau von psychosozialen Anlaufstellen. Hier erfahren Sie mehr zu unserem Ansatz und unserer Arbeit in Libyen.
„Die Frauen in Libyen haben die Freiheit gekostet, sie haben Empowerment erlebt.“ 10 Jahre nach dem „Arabischen Frühling“ haben wir mit der libyschen Menschenrechtsaktivistin Iman Bugaighis gesprochen.
2018 wurden Sylvia Rombach, AMICA-Referentin für Libyen, und Iman Bugaighis, libysche Menschenrechtsaktivistin, für die Neue Zürcher Zeitung interviewt. Den Artikel können Sie hier lesen.